Chicago
Palladium Theater, Stuttgart
Roxie Hart Velma Kelly "Mama" Morton Mary Sunshine Billy Flynn Amos Hart |
Carien Keizer Lana Gordon Isabel Dörfler Martin Schäffner Nigel Casey Livio Cecini |
Vollständige Besetzung
Chicago in den 1920er Jahren: Die Zeit der Prohibition. Illegaler Alkoholhandel, Glücksspiel, Geldwäsche, Prostitution, Schutzgelderpressung und organisierte Kriminalität. Der Verbrecherboss Al Capone regiert die Unterwelt.
Und genau in diesem verruchten Umfeld spielt die Geschichte: Die Nachtclubsängerin Roxie Hart erschießt ihren Liebhaber und landet im Gefängnis. Dort herrschen Intrigen, Korruption und Verrat. In ihrer "Gefängniskluft" aus Stöckelschuhen, Netzstrumpfhosen, sexy Dessous und schwarzer Spitze wird sehr bald klar, dass die weiblichen Insassen die Männerwelt um den kleinen Finger wickeln und alles dafür tun, um wieder freizukommen.
Also mit anderen Worten: Kein Musical wie jedes andere. Das fing schon mal damit an, dass sich das Orchester nicht im Orchestergraben, sondern mitten auf der Bühne befand. Die Musiker spielten auf mehreren Ebenen, ähnlich wie auf einer Treppe, und stellten somit auch gleich die Kulisse dar. Ein richtiges Bühnenbild, wie man das von anderen Musicals kennt, gab es eigentlich nicht. Die Darsteller konnten nur einen kleinen Teil der Bühne zum tanzen nutzen, deshalb liefen sie auch zwischen den Musikern umher.
Sogar Dirigent Klaus Wilhelm, den wir bereits aus zahlreichen anderen Produktionen kannten, wurde kurzerhand als Schauspieler herangezogen. Er reagierte auf die Handlungen der Darsteller und musste zwischendrin sogar eine kurze Ansage machen. Er war gar nicht mal so untalentiert.
Bei einem Musical mit so wenig Kulisse ist es umso wichtiger, dass die Darsteller das Stück tragen. Dafür braucht es genauso ausdrucksstarke Charaktere wie Carien Keizer in der Rolle der Roxie Hart. Mal charmant und leidend, mal skurril und gerissen, und immer mit einer urkomischen Mimik.
Die Tänzerin Velma Kelly wurde von Lana Gordon verkörpert. Von ihrer Art und Mimik her erinnerte sie sehr an Tina Turner. Sie hatte ebenfalls eine hammerstarke Stimme, auch wenn sie manchmal etwas schwer zu verstehen war. Aber ihr amerikanischer Akzent passte gut und trug zu dem Broadway-Flair bei.
Nigel Casey war der durchtriebene Staranwalt Billy Flynn, der die beiden Frauen aus dem Gefängnis holen sollte. Er war ein cooler sexy Frauenheld, der es verstand, die Leute zu manipulieren. Besonders genial war eine Szene im Gerichtssaal, bei der Roxie vor den Geschworenen aussagen sollte. Sie saß wie eine Handpuppe auf dem Knie des Anwalts und machte steife marionettengleiche Bewegungen. Billy Flynn legte ihr wie ein Bauchredner die Worte in den Mund und ahmte dabei ihre Stimme nach.
Isabel Dörfler gab die korrupte "Mama" Morton – eine Rolle, wie für sie gemacht. Selbstbewusst dirigierte sie das Geschehen im Gefängnis, wie immer mit fantastischer Ausstrahlung, unglaublich toller Stimme und grandiosem schauspielerischem Talent.
Livio Cecini als Amos Hart war die einzige Zweitbesetzung, aber keineswegs zweitklassig. Es ist mit Sicherheit nicht einfach, den unscheinbaren Ehemann von Roxie zu spielen und trotzdem im Vergleich zu den anderen Hauptdarstellern nicht unterzugehen. Dennoch hat er es geschafft und konnte mit seiner Darstellung vollends überzeugen.
Die Boulevardjournalistin Mary Sunshine wurde von M. Schäffner verkörpert. Mit vibrierender Stimme schmetterte die Journalistin ihre Arien, doch irgendetwas war seltsam. Obwohl sie stark geschminkt war, sah sie im Gesicht sehr männlich aus. Aber im Programmheft war ja eine Frau abgebildet. Trotzdem komisch … Bis ihr dann am Ende der Vorstellung ein anderer Darsteller die Perücke vom Kopf riss! Ha! Also doch ein Mann! Und die Botschaft, die sich durch die ganze Show zog: "Nichts ist so wie es scheint".
Und kaum etwas war so wie bei anderen Musicals. Wie zum Beispiel auch, dass der Dirigent beim Schlussapplaus alle Namen vorlas, während die Darsteller nacheinander noch einmal auf die Bühne kamen. Doch es war eine sehenswerte Show mit tollen Charakteren, einem fabelhaften Ensemble und sexy Tanzszenen, einer Brise schwarzem Humor und all dem Jazz, der immer in Erinnerung bleiben wird. top Δ