Der Glöckner von Notre Dame
Apollo Theater, Stuttgart
Quasimodo Erzdiakon Claude Frollo Esmeralda Hauptmann Phoebus de Martin Clopin Trouillefou Jehan Frollo Florika Pater Dupin Leutnant Frederic Charlus König Louis XI. Madame St. Aphrodisius |
Jonas Hein Felix Martin Mercedesz Csampai Maximilian Mann Gavin Turnbull James Cook Kristina Love Johannes Kiesler Kevin Köhler Stefan Poslovski Barbara Raunegger Romeo Salazar |
Vollständige Besetzung
Oh là là, bei diesem Musicalbesuch begaben wir uns nicht nur nach Frankreich, sondern auch auf Zeitreise, ins Paris des Jahres 1482. Die Geschichte war mir schon bekannt, hatte ich doch damals als Kind den Disney-Film schon öfters gesehen – zuhause auf dem Sofa mit einem Schokokeks in der einen und einem Glas Saftschorle in der anderen Hand. Doch obwohl es auch ein Disney-Musical war, war die Handlung doch etwas anders als im Film.
Wir traten in das vertraute Apollo Theater ein und waren gleich mal beeindruckt von der grandiosen Kulisse: Wir befanden uns mitten in der Kathedrale Notre Dame. Im Hintergrund leuchtete das detailgetreue Rosettenfenster und an den Seiten schauten die ehrwürdigen Steinfiguren auf uns herab. Dann betrat ein richtiger Chor die Emporen, in graue Mönchskutten gekleidet und mit schwarzen Gesangsheften ausgestattet. In selbige Kutten gewandet waren auch alle Darsteller, aus deren Mitte sich erst nach und nach die Hauptdarsteller herauslösten und auf der Bühne ihre eigentlichen Kostüme anzogen.
Nur widerwillig nahm Erzdiakon Claude Frollo den Sohn seines sterbenden Bruders Jehan und der Zigeunerin Florika auf. Er versteckte das entstellte Kind im Glockenturm der Kathedrale und gab ihm ein schlimmen Namen, der bedeutet "missgestaltet": Quasimodo. Dann trat ein junger Mann auf, der abgesehen von seiner struppigen Frisur eigentlich ganz normal aussah. Doch auf einmal schnallte er sich ein Polster für den Buckel auf den Rücken, zog eine Strickjacke darüber und schmierte sich mit den Fingern schwarze Streifen ins Gesicht. Er hängte sich an ein Seil und die großen Glocken begannen zu läuten.
Insgesamt änderte sich die Kulisse nicht so oft wie bei vielen anderen Musicals, sondern die Hauptkulisse blieb immer erhalten. Da die Handlung durchaus auch an anderen Orten spielte, hatte man einfach das Ensemble dazu abkommandiert verschiedene Holzgeländer und -treppen durch die Gegend zu schieben und daraus mal eine Balustrade und mal Gefängnisgitter zu bauen. Das Ensemble stellte in seinen Kutten nicht nur Mönche sondern auch Wasserspeier dar, an deren ausgestreckten Arm Frollo einfach mal eine Lampe hängte.
Einzelne Ensemblemitglieder zogen sich zwischendurch sogar mal ein eigenes Kostüm an und wurden so für ein Lied zu einem Hauptdarsteller – wie zum Beispiel König Louis XI., wunderbar dargestellt von Stefan Poslovski. Frollo bat darum, die Zigeunerin Esmeralda jagen zu dürfen, während der König schon sehr genervt war von diesem unangemeldeten Besuch. Er stellte klar, dass er kein Freund von schnellen, überstürzten Entscheidungen war und formte mit seinen Händen die "Merkel-Raute" – was für ein genialer Seitenhieb auf die aktuelle Politik!
Auch Romeo Salazar verselbstständigte sich buchstäblich. Er erschien Quasimodo im Glockenturm als geköpfter Heiliger St. Aphrodisius. Er trug ein weites Gewand und hielt seinen richtigen Kopf auf Brusthöhe in einer Hand. Zuerst dachte ich, na klar, bei dem Kostüm wurden einfach noch ein paar Schultern aufgesetzt, doch plötzlich wanderte der Kopf nach oben, so wie es anatomisch richtig ist. Dann wieder nach unten, dann wieder nach oben. Häh? Wie geht denn das? Dazu sang er mit schöner Stimme und noch schönerem Akzent.
Ebenfalls einen schönen Akzent und eine etwas rauere aber sehr passende Stimme hatte Mercedesz Csampai, die die Esmeralda verkörperte. Sie hätte gerne noch etwas temperamentvoller sein dürfen, aber sie tanzte toll und besonders das Duett "Einmal" mit Hauptmann Phoebus de Martin (Maximilian Mann) war einfach nur schön. Letzterer stellte den Soldaten auch sehr überzeugend dar, der hin- und hergerissen war zwischen Frollos Befehlen und seinem Wunsch den Zigeunern zu helfen.
Gavin Turnbull war Clopin Trouillefou, der Zigeuner, der durch die Geschichte führte. Mit seinem Bart und den Zottelhaaren war er schon eine witzige Charaktere und er gefiel mir im zweiten Akt noch besser als im ersten.
Ich hätte nicht gedacht, dass Quasimodo mein Liebling des Abends sein würde. Typisch Disney war er weniger das hässliche Monster, sondern er wurde von Jonas Hein als sehr unbeholfen und liebenswürdig dargestellt. Das Publikum war ganz auf seiner Seite und man wollte ihn am liebsten knuddeln und drücken. Als Esmeralda ihn im Glockenturm aufsuchte, saß er an der Balustrade und hielt sich die Hände vor die Augen. Klar, wenn er sie nicht sehen kann, dann kann sie ihn auch nicht sehen! Und dann stellte er seine Glocken mit Namen vor und erzählte, dass sie heute alle gut in Stimmung waren. Doch im Laufe der Geschichte wuchs er über sich hinaus und glänzte mit seiner fantastischen Stimme und Bühnenpräsenz.
Ebenfalls sehr überzeugend war Felix Martin in der Rolle des Frollo. Er hatte eine tolle Ausstrahlung und eine dunkle, kräftige Stimme. Außerdem war er recht groß und in seinem wallenden Gewand eine imposante Erscheinung. Er spielte gekonnt den bösen Erzdiakon, der die tanzenden und musizierenden Zigeuner hasste und doch zugleich von der schönen Esmeralda in den Bann gezogen wurde. Obwohl er immer wieder seine menschliche Seite zeigte, ließ er am Ende doch die Zigeunerin auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Als er daraufhin von dem zornigen Quasimodo über die Balustrade geworfen wurde, trugen ihn die Ensemblemitglieder in einer aufrechten Pose in den hinteren Bereich der Bühne, sodass man den Eindruck hatte, man würde vom Glockenturm aus sehen wie er in die Tiefe stürzte und verschwand. Ein toller Effekt!
Es war ein bewegendes Finale der Show und Quasimodo kniete auf dem Boden, den Rücken dem Publikum zugewandt. Das Ensemble entledigte sich nach und nach ihrer Kutten und schmierte sich mit den Fingern schwarze Streifen ins Gesicht. Doch als sich Quasimodo umdrehte war sein Gesicht sauber und die Frage stand im Raum: Wer ist der Mensch und wer das Scheusal?
Völlig zurecht gab es am Ende Standing Ovations und Quasimodo und Frollo bekamen den meisten Beifall – auch das völlig zurecht. top Δ